Unternehmen richtig bewerten

Matthias Mueller
5 min readJul 5, 2020
© Geoff Kendall, Future-Fit Foundation, übersetzt von Matthias Müller

Wie können wir heute Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeits einer Organisation im Sinne der SDGs messen? Der Future-Fit-Ansatz bietet ein Berechnungssystem, mit dem aufgezeigt werden kann, ob ein Unternehmen tatsächlich einen positiven Beitrag für Gesellschaft und Ökosystem leistet. Für eine langfristig nachhaltige Wirtschaft braucht es Innovationen, die Schäden nicht nur minimieren, sondern gar nicht erst entstehen lassen.

Die Investment- und Asset-Management-Industrie scheint einen neuen Trend gefunden zu haben: das sogenannte Impact Investing auf Grundlage der SDGs (Sustainable Development Goals). Impact bedeutet dabei, mit Investitionstätigkeit zur Erreichung der SDGs beizutragen.

Einige Beispiele:

  • Die UNO-Nachhaltigkeitsorganisation für den Businessbereich, UN Global Compact, spannt mit der B-Corp-Bewegung zusammen. Es entsteht die SDG-Plattform, die es Firmen ermöglichen soll, ihren Beitrag zur Erfüllung der SDGs zu messen.
  • Die RobecoSAM AG hat kürzlich in Zürich ihr neues Instrument «SDG Impact Framework» vorgestellt, das Investoren SDG-Ratings von Firmen liefern wird.
  • Ebenfalls in der Schweiz entstanden ist das Instrument «GAPFRAME», das mit 24 Kriterien die Leistung einer Volkswirtschaft in Bezug auf die Erreichung der SDGs erfasst.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Nein — aus zwei Gründen: Erstens: Die Dringlichkeit für nachhaltiges Handeln steigt rasant. Die Finanzindustrie steht vor markanten Veränderungen etwa aufgrund der rapiden Zunahme von Investitionsrisiken zum einen und der Digitalisierung zum anderen. Dafür stehen nicht nur Greta und die streikende Jugend. Fast täglich erreichen uns Meldungen von globalen Investoren (BlackRock, Roosevelt), die sich aus Investitionen in fossile Brennstoffe zurückziehen.

Die «New York Times» titelt im September: «Shareholder Value Is No Longer Everything, Top C.E.O.s Say». In der Schweiz wächst das Volumen nachhaltiger Anlagen geradezu explosionsartig. Zweitens: Der Fokus auf die SDGs ist auch methodisch neuartig — zumindest für Investoren und Asset-Manager. Man könnte ihn als normativ bezeichnen. Sie verlangen, dass ein normatives Ziel erreicht wird — schrittweise Verbesserungen reichen nicht mehr aus. Erfolg ist, wenn ein allgemeingültiges Ziel respektive eine wissenschaftliche Systembedingung (wie die SDGs) erreicht wird.

Beispiel: Es genügt nicht, wenn ein Unternehmen philanthropische Gaben an Entwicklungsorganisationen verteilt. Gemäss dem normativen Ansatz muss es in allen Tätigkeiten (Lieferkette, Produktion) aktiv Armut bekämpfen und das beweisen. Mit diesem zweiten Aspekt befasst sich dieser Artikel.

Gegenseitige Abhängigkeiten werden bewusst

Nun, so neu ist der Ansatz nicht. Die Definition der Brundtland- Kommission im Jahr 1987 ist einer der Geburtshelfer des normativen Ansatzes. Sie spricht Investoren direkt an: «Im Wesentlichen ist nachhaltige Entwicklung ein Wandlungsprozess, in dem die Nutzung von Ressourcen, das Ziel von Investitionen, die Richtung technologischer Entwicklung und institutioneller Wandel miteinander harmonieren und das derzeitige und künftige Potenzial vergrössern, menschliche Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen.»

Wir wissen, dass das Gegenteil passiert ist: Das von der Brundtland-Kommission genannte künftige Potenzial wurde seither systematisch und drastisch verringert. Der schwedische Onkologe Karl-Henrik Robèrt nahm 1989 den Ball auf. Auf Grundlage eines wissenschaftlichen Review-Prozesses entstand eine stabile Definition von Nachhaltigkeit für das ökologische und das soziale System.

Er definierte vier normative Systembedingungen, die es einzuhalten gilt, um dem Risiko der Nichtnachhaltigkeit aus dem Weg zu gehen. Weitere Initiativen folgten, etwa das Konzept der «Planetary Boundaries» des Stockholm Resilience Centre. Es berechnet, wann diese Systemgrenzen ausgereizt sind. Oder das Konzept der «DonutÖkonomie» von Kate Raworth, das in Form eines Donuts die gegenseitige Abhängigkeit von ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Faktoren visualisiert.

Die beschriebenen Methoden stellen die Norm in den Vordergrund, deren Einhaltung das Überleben der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Systeme sichert. Das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit hat ausgedient.

Das eingebettete Systemmodell macht deutlich, dass das System Wirtschaft zum Überleben des sozialen und ökologischen Systems beizutragen und sie nicht auszubeuten hat.

Zielerreichung berechnen und in Prozent ausdrücken

Neben den genannten wertvollen Initiativen hat sich jetzt in London die Future-Fit Foundation aufgemacht, zubeschreiben und zu quantifizieren, was es für ein Unternehmen im Alltag heisst, seine Tätigkeiten im Einklang mit Gesellschaft und Ökosystem zu gestalten. Was sind die Kriterien, die einzuhalten sind, damit ein Unternehmen zukunftsfähig wird oder bleibt?

Der «Future-Fit Business Benchmark» definiert 23 Ziele, die ein Unternehmen erreichen muss, um diesen Einklang mit Gesellschaft und Ökosystem zu erreichen. Beispiele für solche Zieldefinitionen sind:

  • Es entsteht kein Abfall in der Produktion.
  • Produkte stossen keine Treibhausgase aus.
  • Finanzielle Vermögenswerte gewährleisten das Streben nach Zukunftsfähigkeit.

Jedes dieser Ziele ist mit einer mathematischen Formel (einem KPI) unterlegt, die aufzeigt, wo das Unternehmen in Bezug auf die Zielerreichung steht. Es genügt zum Beispiel nicht mehr mitzuteilen, dass der Wasserverbrauch im vergangenen Jahr um 3 Prozent gesenkt wurde. Der Benchmark verlangt eine Aussage darüber, welcher Anteil des gesamten verbrauchten Wassers aus verantwortlich gemanagten Quellen stammt und das Ökosystem nicht gefährdet: Das Resultat ist dann eine Zahl zwischen 0 und 100 Prozent (oder über 100 Prozent, wenn das Unternehmen Wasserqualität regeneriert).

Ein Rechenbeispiel: Wenn die Unternehmensleistung bei diesem Ziel bei 30 Prozent liegt, dann ist eine dreiprozentige Verbesserung vollkommen ungenügend.

Das Interesse am Future-Fit-Ansatz wächst

Und die SDGs? Der «Future-Fit Business Benchmark» enthält einen einfachen Prozess, damit die Unternehmensziel-Messungen auch dazu beitragen, die SDGs zu erreichen. Die schweizerische NGO S2 Sustainability Strategies hat in Zusammenarbeit mit JP Morgan Schweiz diesen Mapping-Mechanismus in zwei Assessment-Instrumenten verwendet. Diese errechnen eine SDG-Zielerreichungs- Note, einerseits für die Unternehmen insgesamt, andererseits für ihre Kernprodukte und -dienstleistungen.

Für die Studie «Das Ende der Nachhaltigkeits-Strategie» hat S2 Sustainability Strategies 2016 in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen HPO 26 CEOs befragt. Dabei stellte sich heraus, dass die CEOs den Future-Fit-Ansatz als relevant ansehen und davon ausgehen, dass er in die Firmenstrategie eingebaut werden muss.

Das erste Unternehmen, das seine Leistung mithilfe des Benchmarks vollständig errechnet hat, ist allerdings kein schweizerisches: es ist die dänische Novo Nordisk Pharma. Andere Firmen, die mit dem Instrument des «Future-Fit Business Benchmark» arbeiten, sind The Body Shop, De Beers oder Ørsted.

Stetig wachsendes Interesse weckt der Benchmark in der Finanzindustrie, beispielsweise bei den Investoren WHEB, Brunel oder LD Pensions (siehe Future-Fit-Website).

Zukunftsfähigkeit muss beweisbar werden

Das Effizienzdenken hat einige ökologisch-sozialen Probleme gemildert, oft aber nicht gelöst. Nötig ist jetzt der Ansatz des richtigen Messens: Wir brauchen Daten auf Grundlage wissenschaftsbasierter Normen, die aufzeigen, ob ein Unternehmen wirklich seinen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit leistet. Daten, die letztlich Investoren dazu motivieren, gemäss der Brundtland-Kommission das Potenzial für menschliche und gesellschaftliche Entwicklung zu vergrössern.

Dieser Artikel ist zuerst in “denaris” 1/2020, der Zeitschrift des Verbands der Schweizerischen Vermögensverwalter, erschienen.

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Matthias Mueller

Journalist/writer focusing on sustainable development, digitization, innovation and design-oriented business development. Member of Swiss author's association.